Kraftwerk Sellrain

Antriebssache

Sechs Gemeinden, zwei Gewässer, ein Kraftwerk und doppelter Nutzen für die Region. Welche das sind, erzählt die aktuelle Geschichte des Gelingens über die Besonderheit des Kraftwerks Sellrain.

Erschienen: Juli 2024 / LESEDAUER: 4 Minuten / Erfahre hier mehr Über Wasserkraft

Wie Wasserkraft dafür sorgen kann, die Umwelt langfristig zu erhalten, Gemeinden zu verbinden und nebenbei die Energiewende vorantreibt. Mit sauberem Strom.

Wasserkraft ist in Tirol ein viel diskutiertes Thema, spaltet Geister und erhitzt die Gemüter. So viel vorweg – eine klare Antwort oder gar eine Pauschallösung für die Nutzung von Tiroler Wasser als wertvoller Energieträger werden wir in dem folgenden Text nicht finden. Zu verschieden sind die Ausgangslagen, zu komplex das Thema.

Was wir uns aber anschauen werden, ist ein 2023 in Betrieb genommenes Tiroler Kraftwerk, das nicht nur in seiner Bauweise, sondern auch in seiner Entstehungsgeschichte zukunftsweisend ist. Das Besondere an diesem Bauwerk – es wird zu 100 Prozent von den sechs beteiligten Gemeinden betrieben. Das mag auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches sein – ist es aber. Denn die Fähigkeit, ein modernes Wasserkraftwerk zu planen, zu errichten, unter den budgetierten Ausgaben fertigzustellen und schlussendlich auch gewinnbringend zu betreiben, ist keine leichte Aufgabe und will gelernt sein.

Das Besondere an diesem Bauwerk – es wird zu 100 Prozent von den sechs beteiligten Gemeinden betrieben.

Dass dies gelingen kann, ist dem unermüdlichen Einsatz von Ehrenamtlichen zu verdanken, die sich im Sinne der Region einsetzen. Der große Vorteil bei diesem Konzept: Die Einnahmen aus dem Kraftwerk fließen im wahrsten Sinne des Wortes zur Gänze zurück in die Region.

Die Rede ist vom „Kraftwerk Sellrain“, einer Art Musterschülerin in Sachen Wasserkraft.

Ein Thema, das spaltet

Verständlich sind Bedenken zur Erhaltung von Biodiversität und unberührten Tälern. Notwendig ist aber auch der Umstieg auf erneuerbare Energien und weg von fossilen Energieträgern. Mit dem Ausbau von erneuerbaren Energieträgern allein wir die Energiewende nicht gelingen. Ein wichtiger Baustein ist wohl das Energiesparen.

Ohne sich Illusionen zu machen, muss definitiv ein Mittelweg gefunden werden, der einerseits erneuerbare Energiepotenziale sinnvoll und überregional im europäischen Gedanken ausschöpft (ganz alleine geht es nicht) und andererseits den Erhalt unserer Natur sichert. Wie kann das gelingen?

Ökologisch auf höchstem Niveau!

Die Arbeiten am Kraftwerk Sellrain wurden nach dem aktuellsten Stand der Technik umgesetzt, um die Umweltverträglichkeit so hoch wie möglich zu halten. Ein modernes Fischleitsystem ermöglicht es den Fischen, die Wanderhindernisse sicher zu überwinden. - An den beiden Wehranlagen werden jahresdurchgängig entsprechende Wassermengen abgegeben, welche die natürliche Dynamik beider Gewässer abbilden und so den Erhalt der gewässerökologischen Lebenswelt sicherstellen.

Unsere zwei besten Antworten

Tirol ist gesegnet mit zwei nahezu unerschöpflichen Energiequellen. Sonne und Wasser. Damit haben wir die wichtigste Antwort auf die Frage, wie wir das Ziel eines energieautonomen Tirols im Jahr 2050 erreichen können. Unter anderem mit Energie aus Sonne und Wasser. Einerseits mit dem massiven Ausbau von Photovoltaik. Das Potenzial dazu ist übrigens in nahezu ganz Tirol gegeben, denn auf 8 von 10 Dächern in Tirol kann eine Photovoltaikanlage sinnvoll betrieben werden. Andererseits mit dem Ausbau der Wasserkraft.

Laufwasserkraftwerk erklärt

Reden wir über die Wasserkraft am Beispiel des Kraftwerkes Sellrain. Das 2023 fertiggestellte Bauwerk ist ein durchaus besonderes Kraftwerk. Die Turbinen werden nämlich nicht nur von einer Wehranlage gespeist, sondern von zwei. Die beiden Wehranlagen befinden sich an der Melach und am Fotscherbach. Dort wird das Wasser zuerst gereinigt und darauf in einzelne Druckrohleitungen geführt. Anschließend treffen sich diese Leitungen und vereinen sich zu einer großen, kilometerlangen Druckrohleitung, welche die zwei Turbinen schlussendlich mit ihrem „Rohstoff“ versorgt. „Insgesamt reden wir von mehr als 9 km Leitungen“, weiß Manuel Hujara, Betriebsleiter der Anlage. Er führt uns durch das Kraftwerk und erklärt uns im Detail, wie das mit der Energieproduktion im Kraftwerk Sellrain funktioniert. Mit schwer vorstellbaren 38 Bar Druck kommt das Wasser bei den Turbinen an. Zum Vergleich: in einem Fahrradreifen befinden sich zwischen zwei und drei Bar Druck. In der Turbine wird das sogenannte Laufrad von vier Einzeldüsen angestrahlt und somit angetrieben. Das Wasser wird im Anschluss wieder zurück in die Melach geleitet und steht dem Tal so weiterhin zur Verfügung. Das Kraftwerk läuft seit Inbetriebnahme durchgehend und hat eine aktuelle Wirkleistung von 12,4 Megawatt. Auf das Jahr hochgerechnet liefert die Anlage bilanziell genug Energie, um ca. 15.000 Haushalte mit erneuerbarem Strom zu versorgen.

Wehranlage

Eine Wehranlage ist ein Querbauwerk und dient als Stauanlage. Das Wasser wird auf einem höheren Niveau zurückgehalten, um einen entsprechenden Wasserspiegel für einen geregelten Wassereinzug sicherzustellen. 

Energieerzeugung

Die sechs beteiligten Gemeinden Oberperfuss, Sellrain, Grinzens, Gries im Sellrain, St. Sigmund und Unterperfuss haben zusammen ungefähr 8.300 Einwohner*innen. Bei durchschnittlich 2,23 Personen pro Haushalt in Tirol (Statistik Austria) ergeben sich 3.720 Haushalte die mit Strom versorgt werden müssen.

Energieüberschuss

Das Kraftwerk läuft seit Inbetriebnahme durchgehend und hat eine aktuelle Wirkleistung von 12,4 Megawatt. Auf das Jahr hochgerechnet liefert die Anlage bilanziell genug Energie, um ca. 15.000 Haushalte mit erneuerbarem Strom zu versorgen.

Der Mehrwert

Nicht nur wird mit diesem Kraftwerk laufend fossilfreier Strom erzeugt, es „spült“ auch wichtige Einnahmen in die Kassen der sechs beteiligten Umlandgemeinden. Jene Einnahmen können in den Gemeinden genutzt werden, um wichtige Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Wie zum Beispiel eine nahtlose Kinderbetreuung, die Sanierung von Kanälen oder anderen Gemeindegebäuden. Auch Renaturierungsprozesse können angestoßen und finanziert werden. Um schlussendlich ländliche Gebiete als sozialen Lebensraum zu erhalten. Zahlreiche Gemeinden stehen aktuell vor wahren Generationenprojekten, wie beispielsweise den Neubau von Schulen, Kindergärten oder Infrastrukturaufgaben wie Kanalsanierungen, Glasfaserverlegung, Aufforstung und dergleichen. Da kommen neue Einnahmequellen gerade recht – vor allem, wenn es welche sind, die obendrauf noch zukunftsweisende Ziele abdecken. Aus Wasser wird Strom. Aus Strom wird Gemeingut. Und damit profitieren alle.

Der Antrieb

Warum das bei diesen sechs Gemeinden so gut funktioniert hat, hat viele Gründe. Einer dieser Gründe ist der unermüdliche Einsatz eines Ehrenamtlichen, der sich der Geschäftsführung der hinter dem Kraftwerk stehenden GmbH angenommen hat. Ohne Bezahlung im Sinne der Gemeinschaft. Über zwölf Jahre wurden unzählige Verhandlungen geführt und versucht, alle auf einen Tisch zu bekommen. Um so mit allen Beteiligten Gespräche zu führen und niemanden auszugrenzen. Und warum?

„Die Wasserkraft ist meines Erachtens unsere beste Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Vor allem, wenn gesichert ist, dass sie den Gemeinden und deren Menschen zugutekommt.“

So nützt sie nicht nur den Menschen vor Ort, sondern auch dem gemeinsamen Ziel TIROL 2050 energieautonom.

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