Mit seinen Fortschritten in der Energiewende hat Tirol zuletzt zunehmendes internationales Aufsehen erlangt.
Vor der Fukushima-Katastrophe deckten 54 Kernreaktoren etwa 30 Prozent des Strombedarfs der Industrienation Japan. Nach dem Reaktorunfall ist die Skepsis gegenüber der Nutzung der Kernenergie gestiegen – alle AKWs wurden für zwei Jahre komplett heruntergefahren. „Strommangel hat es deshalb trotzdem nicht. gegeben Fossile Kraftwerke, aktives Stromsparen und der verstärkte Ausbau erneuerbarer Energieträger haben die Lücke gefüllt“, erklärt Kaori Takigawa-Wassmann, Organisatorin der Studienreise.
Volksbefragungen zeigen immer wieder dasselbe Bild: Die große Mehrheit des japanischen Volkes möchte aus der nuklearen Stromerzeugung aussteigen und verstärkt auf erneuerbare Energien setzen. Dafür hätte Japan ideale Voraussetzungen: ein angenehmes Klima mit milden, sonnenreichen Wintern, tausende Kilometer Küste an zwei Meeren mit verlässlichen Winden und enormer Wellenkraft, riesige, nur wenig genutzte Waldgebiete mit besten Wachstumsbedingungen für die Erzeugung von Biomasse, hunderte heiße Quellen nutzbar für Geothermie – und eine leistungsfähige Industrie.
Tirol blickt auf jahrelange Erfahrung im Bereich erneuerbarer Energien zurück. Kein Wunder, dass sich die japanische Delegation hier Erkenntnisse für die langfristige Umsetzung von Energieeffizienzprojekten verspricht. Erste Stationen bildeten die e5-Gemeinden Wörgl und Virgen. Weil auf nationaler Ebene nur funktionieren kann, was auch auf regionaler Ebene umsetzbar ist, spielen Gemeinden eine wesentliche Rolle in der Erreichung der Energiewende. Bürgerbeteiligung, nachhaltige Dorfentwicklung und regionale Wertschöpfung sind Themen mit denen sich Tirols Energiegemeinden bestens auskennen. Über das e5-Programm setzen sich Wörgl und Virgen bereits seit Jahren dafür ein, den Einsatz erneuerbarer Energieträger auszubauen und den Energieverbrauch zu senken.
Das ist ganz im Sinne des energiepolitischen Programms der Tiroler Landesregierung. Mit Tirol 2050 energieautonom“ bündelt das Land seit zwei Jahren alle Kräfte, um sich in der Energieversorgung unabhängig zu machen. Dies nicht nur durch das weitere Anzapfen erneuerbarer Energien. Durch die Gebäudesanierung, durch den Einsatz neuer Technologien und den Umstieg auf Öffentlichen Verkehr steigt auch die Lebensqualität und sinkt der Energiebedarf im Land. Die Tirolerinnen und Tiroler beteiligen sich aktiv an dem Prozess. Immer mehr junge Unternehmerinnen und Unternehmen erkennen in der Energieautonomie eine Chance, sich mit neuen Ideen international zu positionieren.
Die japanischen Umwelt- und Klimafachleute verfolgen bereits seit längerem mit Interesse die ersten Erfolge des Programms. Getragen wird das Projekt von Energie Tirol, der Landesberatungsstelle für Energiefragen. Experten von Energie Tirol standen der japanischen Forschungsgruppe am Freitag gemeinsam mit dem Energiebeauftragten des Landes Tirol, DI Stephan Oblasser, Rede und Antwort.
„Im Bereich der Energiepolitik muss es weltweit ein Umdenken geben. Deshalb müssen wir jetzt das Fundament legen, um Tirol innerhalb der EU als Vorreiter in Energiefragen zu etablieren. Es ist natürlich schön zu sehen, dass unsere Bemühungen auch bis ins ferne Asien auf Interesse stoßen“, freut sich Dr.in Sigrid Sapinsky, stellv. Geschäftsführerin von Energie Tirol.
Auch Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Streicher vom Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen der Universität Innsbruck empfing seine japanischen Standeskollegen und stellte unter anderem das EU-Forschungsprojekt SINFONIA – Smart Cities vor. 2050 werden zwei von drei Menschen in Städten leben, wodurch diese eine entscheidende Rolle bei der Umstellung auf eine emissionsarme Wirtschaft zukommt. Tokio ist heute und wird aller Vorrausicht nach auch noch lange das weltweit größte Siedlungsgebiet bleiben. „Im Rahmen von SINFONIA werden in Innsbruck umfangreiche Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz umgesetzt, um in den Demo-Sites 40 bis 50 Prozent der Primärenergie einzusparen und den Anteil erneuerbarer Energien am städtischen Energiemix um mindestens 30 Prozent zu steigern. Aus den Erfahrungen dieses einzigartigen Pilotprojekts, entstehen hoffentlich Maßnahmen, die für viele andere Städte in Europa und weltweit adaptiert werden können“, so der Professor.
Im Rahmen des Projekts SINFONIA wurden auch Gebäude der Neuen Heimat Tirol energetisch saniert. Geschäftsbereichsleiter Ing. Engelbert Spiß erzählte aus den Erfahrungen mit verdichtetem Bauen: „Wohnen kann wieder leistbarer und intelligenter werden, wenn die Wohnfläche pro Individuum wieder weniger wird. Das gilt in der Stadt genauso wie auf dem Land.“ Bei einer Führung durch das Lodenareal erhielten die Gäste aus Japan zudem einen Einblick in die größte Passivhaussiedlung Europas.